G. Braithwaite: Faces From the Past

Titel
Faces From the Past: A Study of Roman Face Pots from Italy and the Western Provinces of the Roman Empire.


Autor(en)
Braithwaite, Gillian
Erschienen
Oxford 2007: BAR International Series (British Archaeological Reports)
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Schmid Debora

Römische Gesichtsgefässe gehören zu den ungewöhnlichsten Keramiken des römischen Reiches. Mit ihren oft merkwürdig anmutenden Gesichtern, die von Hand appliziert oder aufmodelliert sind, wirken sie, als entstammten sie einem anderen Zeitalter, passen sie doch kaum zu den Gesichtern und Bildern, die wir normalerweise mit der römischen Epoche verbinden. Obwohl sie nicht häufig auftreten, begegnen die Gesichtsgefässe über das ganze westliche Reich verteilt vom 1. bis ins 4. Jh. n.Chr. Eine überregionale Studie zu diesen eigenartigen Objekten gab es bisher nicht, nur Arbeiten über einzelne Regionen.

Die in jeder Hinsicht gewichtige Arbeit nimmt sich der Aufgabe an. Sie ist aus einer Dissertation hervorgegangen und bildet die Fortsetzung der Arbeit der Verfasserin von 1984 über die Gesichts- und Kopfgefässe aus Britannien, die nur auf der Basis des britischen Materials in vielen Punkten zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt hatte. Folgende Fragen konnten damals nicht beantwortet werden: Wo kommen die Gesichtsgefässe her, was ist ihr Ursprung? Wo wurden sie — ausserhalb Britanniens — noch gefunden? Was oder wen stellen die Masken auf den Gefässen dar? Wozu wurden die Gesichtsgefässe verwendet? Die vorliegende Arbeit versucht, diese vier Fragen zu beantworten und beschäftigt sich deshalb nicht nur mit den Gefässen selbst, sondern generell mit Darstellungen von Masken verschiedenster Art.

Der erste Teil der Monographie befasst sich mit den vorrömischen Vertretern der Gattung, mit dem Auftreten römischer Gesichtgefässe von Italien bis in die westlichen Provinzen und mit weiterführenden Fragen zum Untersuchungsgegenstand. Im zweiten Teil der Arbeit sind zwei Exkurse und das gesamte Vergleichsmaterial zusammengestellt. Abgeschlossen wird das Buch mit Fundstellenindex, Abbildungsnachweis und Bibliografie.

Im ersten Teil werden in Kap. I und II vorrömische Gesichtsgefässe und Masken besprochen, um der Frage nach dem Ursprung der Gattung nachzugehen. In Kap. III–VIII sind die römischen Gesichtsgefässe zusammengestellt, nach Regionen des römischen Reiches unterteilt. Für jeden der geografischen Räume sind die jeweiligen Typen unterschieden, deren Besprechung bewusst kurz gehalten ist und einem festen Schema folgt: Jeder von ihnen erhält das Kürzel der Region (z.B. RD für Rhein-Donau-Gebiet) und eine Laufnummer (z.B. RD Type 25). Es folgt ein Kurzbeschrieb des Gefässes als Titel sowie Daten zu Höhe, Fabrikat, Gesicht, Verbreitung, Befundkontext und Datierung. Danach schliesst sich die eigentliche Besprechung des Typs an und die Auswertung der Gesichtsgefässe für die ganze Region. Innerhalb einer Region werden die Typen immer mit 1ff. nummeriert, teilweise stehen am Ende leere Nummern, die für spätere Nachträge reserviert sind. Alle Gesichtsgefässtypen sind in Zeichnung oder Foto abgebildet. Die nach Regionen getrennte Besprechung nimmt mehr als die Hälfte des gesamten Buchs ein. Die Vertreter aus Britannien werden in Kap. IX nach demselben Schema vorgelegt und durch Neufunde seit 1984 erweitert.

Der Frage nach dem Ursprung der Gesichtsgefässe wird in Kap. X nachgegangen: Die kleinen Gesichtsbecher, die anfänglich in Norditalien auftreten, dürften ihren Ursprung in etruskischen Gesichtsgefässen haben. Die grösseren Vertreter lassen sich von den eisenzeitlichen Formen Nordeuropas herleiten. Im Verlaufe der römischen Zeit verschmelzen die beiden Gruppen miteinander.

In Kap. XI steht die Rolle des Militärs bei der Verbreitung der Gesichtsgefässe im Vordergrund. In den westlichen Provinzen tauchen die kleinen Gesichtsbecher ab dem 1. Jh. n.Chr. an Orten auf, an denen aus Norditalien rekrutierte Soldaten stationiert sind. Die ersten Vertreter der grösseren Gesichtsgefässe sind vor allem im Rheinland und in Raetien anzutreffen, an Orten mit Militär- oder Veteranenpräsenz. In zivilen Zusammenhängen treten sie nur auf, wenn Kontakte zum Militär oder zu Veteranen bestehen oder zu einem früheren Zeitpunkt bestanden haben.

Abgeschlossen wird der erste Teil mit zwei Kapiteln, die sich mit der Identität der Masken (Kap. XII) und der kultischen Verwendung der Gesichtsgefässe befassen (Kap. XIII); sie bilden das Kernstück des Buchs. Die Identität der Masken ist schwierig zu eruieren, sie gehören in den Bereich der einfachen, populären Volkskunst, über die kaum etwas bekannt ist. Den Benützern der Gefässe war aber klar, um wen es sich handelte. Der Vergleich mit anderen Gefässen mit Masken und weiteren Gattungen, die Masken zeigen, führt die Verfasserin zum Schluss, dass es sich um Darstellungen von Bacchus und Figuren aus seinem Umfeld handeln muss. Neben seiner Funktion als Gott des Weines war der Gott auch zuständig für Fruchtbarkeit, für den Schutz des Hauses, der Familie, der Ernte und des Viehs und für den Schutz vor Feuer; zudem hatte er apotropäische Kräfte. Er war beim Militär und seinen Angehörigen sehr beliebt, wie die häufigen Belege an militärischen Plätzen zeigen.

In Kap. XIII werden verschiedene Rituale diskutiert, in denen Gesichtsgefässe nach Ausweis ihrer Fundkontexte offensichtlich zur Anwendung kamen. Grabfunde legen den Gebrauch bei Totenriten nahe. Die vielen Zeugnisse von Gesichtsgefässen in häuslichen Zusammenhängen machen zudem eine Verwendung bei Ritualen beim Hausheiligtum wahrscheinlich. Die hie und da auf den Gefässen auftretenden tüllenartigen Aufsätze dürften als Kerzenständer oder als Lampen verwendet worden sein und weisen damit ebenfalls in den kultischen Bereich. Die Verwendung als Weihrauchgefäss ist ebenso belegt. Analysen der Krusten auf der Innenseite der Gefässe könnten im Einzelfall zur Aufklärung der genauen Funktion beitragen. Auch wenn einige Gesichtsgefässe als Graburnen verwendet wurden, sollte der Ausdruck «Gesichtsurnen» vermieden werden, wird doch diese Bezeichnung dem häufigen Auftreten in nicht funerären Zusammenhängen nicht gerecht.

Der zweite Teil des Buches umfasst die Anhänge I–VI. Deren erster umfasst einen Exkurs zur Gestalt des Dionysus-Bacchus-Liber und den damit verbundenen Gottheiten. Anhang II widmet sich den Truppenverschiebungen der Legionen im Rheinland, in den Donauprovinzen und in Britannien. Die Anhänge III–VI behandeln das Vergleichsmaterial zu den Gesichtsgefässen, das Hinweise zur Klärung der Frage nach der Identität der Masken liefert: In Anhang III werden die Büstengefässe aus dem Nordosten der Gallia Belgica besprochen. Anhang IV beschäftigt sich mit den Kopfgefässen, den Balsamarien und den Gewichten von Laufgewichtswaagen. Anhang V widmet sich den Masken aus römischer Zeit aus verschiedenen Materialien. Die römischen Schlangengefässe schliesslich werden in Anhang VI besprochen.

Mit Braithwaites Arbeit liegt eine überblicksartige Gesamtschau der römischen Gesichtsgefässe vor, die es erstmals ermöglicht, übergeordneten Fragestellungen nachzugehen. Das Buch behandelt viel bisher unpubliziertes Material aus weiten Teilen des Römischen Reiches. Der immense Arbeitsaufwand, den die Verfasserin auf sich genommen hat, ist beeindruckend und bewundernswert. Auch wenn, wie sie selber einschränkt, viele Museumsbesuche für die Materialaufnahme 20 Jahre zurückliegen und deshalb jüngere Funde nicht immer berücksichtigt sind, bildet ihre Arbeit einen Meilenstein in der Bearbeitung römischer Kultkeramik und kann zweifelsohne als das Standardwerk für römische Gesichtsgefässe bezeichnet werden.

Zitierweise:
Debora Schmid: Rezension zu: Gillian Braithwaite, Faces From the Past: A Study of Roman Face Pots from Italy and the Western Provinces of the Roman Empire. BAR International Series 1651. Oxford 2007. 508 S., zahlreiche Abb. Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 91, 2008, S. 253-254.

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Zuerst veröffentlicht in

Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 91, 2008, S. 253-254.

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